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Arbeit mit Freud und Leid

Sechs Tage pro Woche arbeiten. Drei mal pro Woche ins Spital. Zwei Söhne.

Das ist der Alltag von Wendoli Soto und Antonio Nigro.

Eine Nachbarin meiner Eltern ist mit dem Ehepaar befreundet und hat mir von ihrer Geschichte erzählt. Wie sie sich per Zufall in Mexiko kennengelernt haben. Wie sie mit den Schmerzen kämpfen. Wie sie schliesslich nach Lyss gefunden haben, ins Jägerstübli. Ein mexikanisches Restaurant namens Jägerstübli hat mich bereits von Anfang an sehr interessiert. Daher habe ich versucht, mit dem Paar Kontakt aufzunehmen.

Das erste Mal ging ziemlich schief. Aufgrund eines Missverständnisses dachte Wendoli Soto, ich wolle teure Werbeaufnahmen von ihrem Familienrestaurant machen. Aber schliesslich konnte ich die beiden dann bei einem persönlichen Besuch im Restaurant von meiner Idee überzeugen: So kam dieses Portrait über das Ehepaar zustande.

Vergangenheit in Mexiko

Obwohl sich sowohl Wendoli als auch Antonio in Mexiko sehr wohl fühlten, haben sie sich schlussendlich trotzdem entschlossen, nach Europa zu ziehen. Der Hauptgrund: Die Korruption und das gefährliche Umfeld. Wendoli hatte bis kurz bevor sie Antonio kennenlernte in einem Kreditinstitut am Schalter gearbeitet. Es sei eine gute Arbeit gewesen, aber streng. Und als sie einmal einen Tag freinehmen wollte, für ein Familienfest, wollte ihr Chef das nicht genehmigen. Ihr Vater, bei dem sie damals noch wohnte, fand das daneben. In der Nacht, während sie schlief, hat er daher einfach ihr Wecker ausgeschaltet. Als sie schliesslich viel zu spät erwachte, teilten ihr ihre Eltern mit, sie hätten sie beim Arbeitgeber krank gemeldet. Aber wegen der guten Feier verschwand ihr schlechtes Gewissen ziemlich schnell.

Als sie am nächsten Morgen zur Arbeit fuhr, war das Gebäude des Kreditinstituts völlig verlassen. Sie war verwirrt. Als sie bei ihrem Arbeitsplatz ankam, war die Scheibe des Schalters kaputt und sie sah mehrere kleine Löcher in der Wand.

Später erfuhr sie, dass das Kreditinstitut genau am Tag des Geburtstagsfestes überfallen worden war. Und der einzige Grund, dass sie selber unbeschadet davon gekommen ist, war, dass sie blau gemacht hatte. Die Räuber hatten ihre Stellvertreterin gezwungen, den Safe zu öffnen. Danach hatten sie die Frau als Geisel genommen und sind mit ihr davon gefahren.

Aber ihr Chef erwartete von Wendoli, dass sie gleich am nächsten Tag wieder zur Arbeit käme.

Dieser Vorfall erschütterte Wendoli Soto sehr, und auf Drängen ihrer Eltern kündigte sie sofort. Sie wollte zu einer Tante nach Cancun ziehen und übernachtete dort vorerst in einer Jugendherberge. Und so traf sie schliesslich Antonio.

Die Familie
Familienfoto

Das fast spirituelle Zentrum der Familie sind die beiden Söhne Francesco (19) und Marco (17). Die beiden kamerascheuen Teenager sind immer im Hinterkopf ihrer Eltern. Wendoli beschreibt sich selbst als „richtige mexikanische Mutter“. Als ihr Sohn ihr mitteilte, dass er Geld spare um bald einmal mit seiner Freundin zusammenzuziehen, wollte sie ihn unbedingt bei sich behalten. Für sie sind ihre Jungen immer noch Kinder.

Wendoli hatte vor Francesco bereits drei Fehlgeburten. Dass Francesco überlebt hat, schreibt sie dem Heiligen Franziskus zu, den sie um ein Kind angefleht hatte. Und daher heisst ihr Sohn auch Francesco, und nicht Carlo, wie es die Tradition von Antonios Familie eigentlich verlangt hätte. Carlo ist der Name von Antonions Vater. Dieser war sehr enttäuscht, dass es keinen kleinen „Carlino“ gegeben hatte. Antonios Mutter dagegen freute sich sehr, da ihr eigener Vater Francesco hiess. Dass Wendoli und Antonios älterer Sohn aber nicht nach dem Grossvater sondern nach dem katholischen Heiligen benannt ist, weiss bis heute niemand in der Familie.

Die Schmerzen

Die drei Fehlgeburten von Wendoli sind schlussendlich auch die Ursache ihrer Schmerzen. Bei einer Gebärmutterentfernung erlitt sie einen Nervenschaden, welcher die Schmerzen auslöste. Die Familie versucht, mehr Ferien und Ruhezeiten vom Restaurant einzulegen. Aber es ist schwierig, die Öffnungszeiten des Restaurants zu ändern, da sie einen strikten Vertrag mit der Hausbesitzerin des Jägerstüblis haben. Dieser erlaubt es nicht, die Öffnungszeiten nach Belieben zu ändern.

Ein Ende der Schmerzen ist auch nicht abzusehen. Im Gegenteil, in den letzten Jahren haben sie sich sogar ein wenig verschlimmert. Daher sind die vielen Medikamente, und das spezielle Bett, das Antonio für Wendoli gekauft hat, ihre einzige Linderung.

In einer Studie zu chronischen Schmerzen in Europa fanden Breivik et. al. 2006 heraus, dass ungefähr 19% aller erwachsenen Europäer unter mittelstarken bis starken chronischen Schmerzen leiden. Die meisten davon sind Kopfschmerzen und Rückenschmerzen. Wendoli ist zwar ursprünglich nicht Europäerin, aber hierzulande ist sie mit ihren Rückenschmerzen leider kein Einzelfall.

Die Mexikanische Küche

Trotz ihrer Schmerzen steht Wendoli täglich in der Küche. Antonio und Wendoli sind stolz darauf, dass sie in ihrem Restaurant die „wahre“ mexikanische Küche anbieten. Kein Chili con Carne, keine Maiskolben, kein Tex-Mex. Burrito ist die Hausspezialität. Diese, die Fajitas, Nachos und Flautas macht Wendoli alle immer frisch. Für jeden Gast.

 

Wer Antonios Gastfreundschaft und Wendolis Gerichte gerne einmal selber testen möchte, kann sich gerne auf ihrer Webseite selber informieren.

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