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Schätze am Kulturfest

Der Tanzschritt: Gleich setzt sie den Fuss auf. Genau hier. Zoom – Schärfe –Record drücken. Der Fuss landet genau am richtigen Ort –  Aber die zweite tamilische Tänzerin wirbelt im selben Moment vor die Kamera.

Wenn ich die Welt nur durch das Display meiner Kamera wahrnehme, wird sie manchmal  klein, präzise und sehr detailliert. Ich reduziere sie auf das, was ich festhalten will. Auf die nackten Füsse mit dem Band voller Glöckchen um die Knöchel. Auf das edel geschminkte, dunkle Gesicht  mit den ebenso dunklen, verspielten Augen. Auf die leichte, wellenförmige Bewegung der Hand. Der traditionelle, tamilische Tanz entsteht neu. Erst in meinem Kopf, dann in meiner Kamera, und am Schluss ergeben die einzelnen Bewegungen und Ausschnitte ein Ganzes im Film. Wenn die zweite Tänzerin ins Bild läuft, muss ich das Timing des Tanzschrittes halt noch einmal abschätzen und dafür kurz aus der kleinen präzisen Welt des Displays auftauchen und die Umgebung wieder wahrnehmen.

Das Fest der Kulturen in Nidau ist reich an spannenden und schönen Bildern. Hier sind die lachenden Frauen aus den Philippinen, die kleine, fast filigrane Fleischspiesschen mit Marinade bestreichen. Der Mann aus Togo mit dem roten Hemd, der mit ausholenden Gesten seine süssen, frittierten Krapfen anpreist. Die junge Tibeterin mit den zwei schulterlangen, schwarzen Zöpfen, die etwas verlegen die Augen senkt, wenn sie meine Kamera bemerkt. Ihr Partner, der neben ihr am Stand mit der Tibet-Flagge kleine Kreise aus Teig auswallt, und sich auch durch die Kamera nicht aus der Ruhe bringen lässt. Ich weiss, dass ich sie alle einfangen und sie wie kleine Schätze in die Speicherkarte meiner Kamera packen könnte. Die tamilischen Tänzerinnen haben zu Ende getanzt und die Bewegungen ihrer Füsse und Lidschläge sind bereits in meiner Schatzkiste. Aber ich halte mich zurück. Schliesslich bin ich nicht zu meinem eigenen Vergnügen hier, sondern um andere Leute an dem Fest teilhaben zu lassen.

Einer der drei tibetischen Flüchtlinge spricht ziemlich gut Deutsch und ich kann ihn zu einem Interview bewegen. Er lebt seit fünf Jahren in der Schweiz und seit drei Jahren kommt er jedes Jahr ans Fest der Kulturen und verkauft Momos, tibetische Teigtaschen. In der Schweiz gefällt es ihm, denn er fühlt sich hier sicher. Aber seine Familie ist weit weg und darum hat er manchmal Heimweh. Die Spezialität aus Tibet ist für ihn daher ein kleines Stückchen Heimat. Dass er die Momos hier an die nidauer Bevölkerung verkaufen kann, macht ihn stolz. Darum überredet er seine beiden Mitarbeiter am Stand dazu, dass ich sie ganz nah dabei filmen kann, wie sie schnell die kleinen Teigkreise mit der grünen Erbsenmasse füllen und geschickt verschliessen. Und wieder wird die Welt klein wie das Display, 7.5 auf 4.5 Zentimeter gross. Es gibt hier scheinbar keinen Unterschied zwischen den rot lackierten Fingernägeln der Tibeterin welche den Teig faltet und den Füssen mit Glöckchen der tamilischen Tänzerin.

Ich bin zwar Videojournalistin, aber Worte sind beim Dreh sehr wichtig. Eine Kamera verunsichert, insbesondere eine Fernsehkamera. Wo ist mein Gesicht später zu sehen? Wird die Kamerafrau meinen unvorteilhaften Gesichtsausdruck einer breiten Öffentlichkeit zeigen? Was, wenn ich etwas Falsches mache oder sage? Menschen mit solchen Hemmungen brauchen die Vergewisserung, dass ich sie bei meiner Suche nach dem Bild dennoch als Menschen wahrnehme und respektiere. Häufig wird im Gespräch sehr schnell klar, ob ich die Person dazu ermuntern kann.  Auf einen erzwungenen Schnappschuss von schwarzen Zöpfen und roten Fingernägeln könnte  ich nicht stolz sein. Aber oft hilft ein Lächeln, ein kleiner Scherz, und vor allem Verständnis. Und ein kleiner Teil von mir selbst. „Die Filmaufnahme tut nicht SEHR weh. Nur ein bisschen.“ Lächeln.  „Ich habe Ihr Handwerk gesehen, und das wollte ich auch mit andern teilen. Wenn Sie sich aber lieber nicht filmen lassen wollen, verstehe ich das.“ „Meine eigene Stimme am Fernsehen hörte ich früher auch nicht gerne. Aber man gewöhnt sich daran, und alle Zuschauer hören die Stimme ja immer so wie sie in der Aufnahme klingt.“

Die serbische Frau mit Kopftuch ist erst seit drei Monaten in der Schweiz, sagt mir die Veranstalterin des Fests der Kulturen. Ihre beiden kleinen Kinder bemalen eifrig die eigens dafür aufgehängten Papierbögen mit Plakatfarbe. Das Mädchen präsentiert stolz eine eigenwillige Kreation aus Brauntönen, die es durch grosszügiges Mischen zustande gebracht hat. Ihr etwas älterer Bruder dagegen malt gewissenhaft bunte Wellenlinien und Punkte aufs Papier. Die Sprachbarriere gestaltet es etwas schwieriger, die Frau zu fragen ob ich ihre Kinder aus der Nähe filmen darf. Das dachte ich zumindest. Sogleich zieht die Mutter ihr Smartphone mit der Übersetzungsapp hervor. „Kinder“ „filmen“ „Fernsehen“. Sie lacht und nickt. Manchmal klappts auch ohne Überzeugungsarbeit.

Aufnahmen von Kindern sind besondere Schätze. Die Gefühle spiegeln sich klar und natürlich auf ihren Gesichtern wieder.  Der kleine Junge runzelt konzentriert die Stirn. Sein Griff um den grossen Pinsel ist etwas unbeholfen. Langsam malt er zwei violette Linien. All das ist jetzt aufgehoben in meiner Schatzkiste. Zusammen mit dem Vater, der mit seinen zwei Töchtern im Festzelt sitzt, und Momos isst. Mit den beiden Buben, die einander auf einem Brett mit Rädern dran auf dem Spielplatz umherziehen.

Für das Spiel der Kinder lege ich die Kamera direkt auf den Boden. Augenhöhe liegt bei einem Durchschnittschweizer bei einem Meter sechzig. Die Räder am Brett der Kinder sind etwa zehn Zentimeter hoch. Aber aus nächster Nähe auf dem Display sehen sie meterhoch aus. Auch hier am Boden verstecken sich Bilder. Wer sich also nicht auch mal hinkniet, dem entgeht eine ganz eigene Welt. Aber in meiner Schatzkiste findet auch sie ihren Platz.

Auf der Bühne im Festzelt steht jetzt Kiko Clown aus Peru. Er zieht bunte Tücher aus dem Schuh einer Zuschauerin und lässt sie mit einem Zwinkern direkt vor der Kamera und den Kindern im Publikum verschwinden. Ganz ohne Bildbearbeitung oder Spezialeffekten geht das. Überhaupt bearbeite ich die meisten meiner Bilder nicht. Weil dazu in der Redaktion meist gar keine Zeit bleibt. Ab und zu muss ich später die Helligkeit oder die Farbe etwas korrigieren, weil ich die Kamera nicht perfekt eingestellt hatte. Aber wenn ich die Bilder bereits auf dem Dreh so einfangen kann, wie ich will, brauchen sie auch keine Bearbeitung. Den Clown zu filmen geht problemlos. Er macht grosse, langsame Bewegungen, baut für seine kleinen Zuschauer Spannung auf. Das Mädchen mit den rotblonden Locken schaut gebannt auf seine leeren Hände. Dann – Überrascht lacht es auf, als der Clown ein Ballontier hinter dem Ohr einer Frau hervorzaubert. Für mich ist der Zaubertrick nicht halb so spannend wie die Begeisterung des Mädchens, welches seinen Vater aufgeregt fragt, wie der Clown das denn gemacht habe. Magie, natürlich.

Meine Arbeit hat auch etwas Magisches. Roh und unverfälscht kann ich zeigen, wie sich etwas zugetragen hat. Manchmal erscheinen die Bilder buchstäblich vor meiner Linse. Manchmal verstecken sie sich und ich muss sie suchen oder erst ködern. Bewegung ist schwieriger, aber interessanter. Menschen sind spannender, aber eine grössere Herausforderung. Gegenstände brauchen gute Perspektiven. Und gute Bilder brauchen ihre Zeit, damit sie ihre eigenen Geschichten erzählen können.

Das Fest der Kulturen geht weiter, und eine portugiesische Tanzgruppe macht sich für ihren Auftritt bereit. Rot, gelb, weiss, schwarz und grün sind ihre Trachten. Tolle Bilder für meine Schatzkiste. Aber ich weiss, dass ich bereits genügend Filmmaterial für meinen Beitrag habe. Sogar bereits zu viel. Drei Stunden Bilder suchen und einfangen. Die besten zweieinhalb Minuten davon sehen am Schluss die Zuschauer auf TeleBielingue. Mit einer Speicherkarte voller Tanzschritte, Plakatfarben, Kinderlachen und dem Magen voller Momos verabschiede ich mich vom Fest und fahre zurück in die Redaktion.

 

 

Und dort entsteht dann dieser Beitrag aus meinen Schätzen.

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