Wie zeige ich als Videojournalistin ein ernstes Thema wie häusliche Gewalt? Einerseits ist das bewegte Bild aussergewöhnlich gut dafür geeignet, die rohen Emotionen eines solchen Themas zu übermitteln. Andererseits lässt sich wohl weder ein Opfer noch ein Täter häuslicher Gewalt bei einem entsprechenden Vorfall filmen. Diese Überlegungen machte ich mir sogleich, als ich an diesem Morgen an der Redaktionssitzung das folgende Thema erhielt, zu dem ich am Abend dann einen fixfertigen Beitrag abliefern sollte: Eine Gruppe von Frauen will in Biel eine Schutzwohnung für Mädchen und junge Frauen bereitstellen, welche Opfer häuslicher Gewalt sind. Und zwar per Crowdfunding. Als Mensch fühle ich mit den Initiantinnen des Projektes mit. Aber die Journalistin in mir zeigt sich als kühle, berechnende Person, für welche bloss die Probleme und mögliche Lösungen für die Filmaufnahmen zählen:
- eine Wohnung hat das Projekt noch nicht gefunden, und wenn dann wäre der Ort geheim = es gibt keinen offensichtlichen Drehort
- ein Opfer, welches über seine Erfahrungen mit häuslicher Gewalt sprechen könnte, kenne ich nicht = die Zeit reicht nicht für die Suche nach einer betroffenen jungen Frau, die zu einem Interview bereit wäre
- eine der Initiantinnen des Projekts ist einverstanden mit einem Interview = Interviewpartnerin ist gefunden
- Bilder zu häuslicher Gewalt müssen gemacht werden, dürfen aus ethischen Gründen aber nicht echt sein = ich brauche Statisten und visuelle Effekte für eine nachgestellte Szene
Ich schnappe mir also zwei Kollegen (ebenfalls Journalisten) und fahre sofort los in meine eigene Wohnung. Dort drehe ich die Szenen häuslicher Gewalt. Mit verringertem Shutterspeed, damit die Gewalt klar als gespielt abgegrenzt ist. Ganz einfach ist es nicht, denn trotz des ernsten Themas ist die Situation komisch. Die Rollen der beiden entsprechen überhaupt nicht ihrem eigentlichen Charakter. Pablo ist alles andere als gewalttätig, und ob des krassen Gegensatzes ist die gewisse Heiterkeit von Sophie vielleicht sogar nötig, um nicht emotional vom tragischen Thema mitgerissen zu werden. Mehrmals lachen wir über missglückte Filmaufnahmen, aber am Ende spielen die beiden Schauspieler/Journalisten ihre Rollen sehr gut.
Obwohl ich als VJ häufig alleine unterwegs bin, kann ich dennoch immer auf meine Arbeitskollegen in der Redaktion zählen. Ich bin meinem Team sehr dankbar.